06/04/2019 – 20/04/2019
“Was wollt ihr denn in Serbien, da war doch erst Krieg und dann noch mit dem eigenen Auto.”
Tatsächlich waren es die Bilder der TV-Berichterstattungen rund um den Kosovokrieg Ende der 90er Jahre, welche unsere Vorstellung von Serbien vor der Reise geprägt hatten. Nach dem Abklingen der medialen Debatten um den Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen der KFOR Mission, ist für uns das Land für lange Zeit nur noch ein Name auf der Landkarte gewesen mit eben diesen alten Bildern im Kopf.
Der Konflikt ist mittlerweile 20 Jahre her, dass Land demokratisiert und stabil.
Zeit, alte vorgefertigte Meinungen über Bord zu werfen und sich seine eigenen zu schaffen.

Belgrad
Serbiens Hauptstadt hatte für uns persönlich den Charme von Ostberlin 1990.
Bereits von Weitem gut sichtbar, der allgegenwärtige Sozialistische Klassizismus,
welcher die Skyline von Belgrad bestimmt.
Wer nun eine gut ausgebaute touristische Infrastruktur erwartet, der wird wohl enttäuscht werden. Da das Durchschnittseinkommen der Menschen im Land lediglich bei rund 450€ monatlich liegt, wird einem auch sehr schnell klar, was es mit einer Bedürfnispyramide auf sich hat.
In Anbetracht der verhältnismäßig hohen Lebenshaltungskosten in der Hauptstadt verwundert es nicht, dass die Häuser vielerorts heruntergekommen und baufällig sind.
Die Lebensmittelpreise liegen, wie im gesamten Land , 1/3 Drittel unter dem EU-Durchschnitt. Eine Kugel Eis: 0.80 €, ein Stück Pizza mit Coke: 1€.
Wer kann, der leistet sich ein Auto. Meist ein Modell aus den frühen 2000er Jahren, welches Opfer einer EU Abwrackprämie geworden ist, nun hier weiter seine runden drehen darf und Dank einer der unzähliger Hinterhofwerkstätten am Leben erhalten wird.
Ein Besuch der Belgrader Universität für Medizin erwies sich als interessante Erfahrung, die Menschen vor Ort und die akademischen Strukturen kennenzulernen. Im Institut für Medizin gab es eine anatomy exhibition of animals. In einer nicht akkreditierten Uni stehend, fiel zuerst auf, dass mit Touristen und generell aussenstehenden Interessierten nicht und niemals gerechnet wurde.
Hinter dem Hausmeister hinterherlaufend, an unterschiedlichen Departmenttüren klingelnd und serbischen Doktorandinnen hinterherdackelnd, fanden wir uns im UG der Tiermedizin wieder. Also, für den öffentlichen (Massen-)Tourismus schien das Ganze schon einmal nicht ausgelegt zu sein, obwohl Google uns das als eines der wichtigsten Sights angezeigt hatte. Wir stellten uns vor.
Das wir kein serbisch sprachen wunderte jeden. „Wieso seid ihr hier?“ Nach mehrmaligem Vorstellen gerieten wir an Marita mit ihrem kleinen Chihuahua. Sie schloss uns die Tür zur Ausstellung auf und führte uns privat 45 Minuten hindurch. Ihr gehörte auch der eine Baby-Mammutzahn hinter der Scheibe im Flur. Wie gesagt internationale Studenten oder gar Touristen gab es nicht. Alles schien improvisiert nur für uns geregelt.
Je weiter wir in den Süden des Landes vordrangen, desto weniger waren die Menschen auf Gäste wie uns vorbereitet. Dies zeigte sich durch die immer schlechter werdenden Straßen und Lebensmittelversorgung in kleinen Orten in der Nähe der Devil´s Town und Pirot. Die ländliche Bevölkerung teilweise im 19.Jahrhundert Charakter lebend beobachteten wir, wie sie mit Spaten und Harke den Acker von Unkraut befreiten oder Kartoffeln in die Mulden warfen.
Novi Sad im Norden des Landes und somit sehr nah an der Grenze liegend, erwies sich dann schon eher als kleine Vorzeigeperle des Landes. Hier war touristisch schon viel mehr geboten und erschlossen. Kleine Parks, eine Fußgängerzone, Eisläden und Cafés…
Natur und Landschaften
Diese zeigten sich sehr unberührt und kaum touristisch erschlossen. Wir waren schlichtweg auf uns selbst gestellt. Die Sehenswürdigkeiten und Orte von Interesse waren in den seltensten Fällen ausgeschrieben oder durch Wegweiser an den Straßen zu finden. Oftmals nutzen wir das GPS Gerät, um die Koordinaten, die uns GoogleMaps anzeigte, einzutippen. Und selbst dann ist es passiert, dass wir den Wasserfall etc. nicht finden konnten. An einem Tag wollten wir zu einer riesigen Höhle wandern, die wir in einem Werbeheft gesehen hatten. Wir mussten einen anstrengenden Berg erklimmen, durch Gestrüpp und über dünne Pfade. Die Stunden vergingen. Das GPS zeigte weiterhin an: „Geradeaus!“ Nach mehreren Stunden gaben wir dann doch wirklich auf und kehrten um. Es war einfach nicht ersichtlich wie weit man noch gehen musste.
Wer auf der Suche ist nach weitgehend unberührter Landschaft, ist hier in Serbien richtig aufgehoben. Man kann quasi noch vieles entdecken. Es ist nicht alles vorgegeben und ausgelatscht. Wir hatten jedenfalls das Gefühl von Abenteuer. Abwechslungsreiches Reisen, Kletterparadiese, individuelle Wanderwege mit etlichen Wagnissen. In den Bergen Geröll auf der Strasse?Keine Seltenheit. Nach einem Gewitter im Tara Nationalpark mussten wir selbst die großen Steine von der Strasse räumen. Man muss also für sein Outdoor Abenteuer nicht um die halbe Welt fahren. Es reicht schon aus ins Balkangebirge zu fahren, wenn man auf der Suche nach unberührter Natur ist. Viele Reisende verbinden ja Europa mit strikten Camping-Vorgaben. Wildes Campen ist in den seltensten Fällen wirklich erwünscht. Alles spielt sich in winzigen Nationalparks ab. Doch in Serbien schien es anders zu sein. Du musst für das Erfahren von Abgeschiedenheit nicht in den Himalaya fliegen. Es liegt dann doch näher als gedacht: Das Freiheitsgefühl: Direkt vor unserer Haustür.“
Die Menschen
Die Menschen waren uns gegenüber eher zurückhaltend- nicht so amerikanisch offenherzig. Es gab also schon eine gewisse Barriere und Distanz, nicht nur sprachlich. Diese Skepsis vor allem in der südlichen Region des Landes widerlegte sich jedoch jedes einzelne Mal, wenn wir im konkreten Kontakt mit den Menschen standen. Denn dann waren sie freundlich und zuvorkommend, sodass sich dieser erste Eindruck gar nicht bestätigen konnte.
Unser Bild von Serbien hat sich völlig gewandelt. Die Vorurteile oder Vorstellungen wurden wieder einmal bereinigt, haben sich stark gewandelt. Hilfsbereite, herzliche Menschen waren interessiert an uns als Personen. Wir hatten schon das Gefühl, dass die Bevölkerung noch darunter leidet, dass vor 20 Jahren Krieg war. Das hängt ihnen irgendwie noch nach, was politische Führer aus der „damaligen“ Zeit veranstaltet haben. Was die normale Bevölkerung dadurch für eine Bürde mit sich trägt, lässt sich kaum wegblinzeln.
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